1. Leitung somato-sensibler Information im Rückenmark
Alle somatischen Empfindungen (subjektive Wahrnehmungen eines Sinnesreizes) lassen sich in 2 große Klassen einteilen, extero- und propriozeptive.
Tabelle 10-1:
Exterozeptive Erregungen | Propriozeptive Empfindungen | |
Ursprung, Rezeptorlokalisation | Reize der Umwelt, Körperoberfläche (Druck, Berührung, Schmerz, Temperatur, Vibrationsempfindung). |
Körperinneres |
Wahrnehmung, Bewußtwerdung des Reizes | normalerweise ja | evtl. (Lage- oder Kraftsinn, Kinesthesie); meist unbemerkt |
Vermittlung über | Cortex cerebri | Kleinhirn |
Organisation | kontralateral | ipsilateral |
Zahl der Neurone | Verbindung zum Kortex besteht aus drei Neuronen. | Verbindung zum Kleinhirn besteht aus zwei Neuronen |
Exterozeptive Erregungen entstammen Reizen der Umwelt. Sie umfassen Druck, Berührung, Schmerz, Temperatur und Vibrationsempfindung.
Exterozeptive Reize werden normalerweise wahrgenommen, d.h. ihre Impulse werden im Gehirn dechiffriert und dem Bewußtsein mitgeteilt.
Verbindungen, die bewußte Empfindungen weiterleiten, verlaufen zum Cortex cerebri. Sie sind dort wie die Sehbahn, die Hörbahn, und das Gleichgewicht kontralateral organisiert.
Die Verbindungen zum Kortex bestehen aus drei Neuronen. Sie werden in der Reihenfolge vom Rezeptorneuron zum Kortex als
1. Neuron (primäres, primär-afferentes oder peripheres Neuron),
2. (sekundäres) Neuron und
3. (tertiäres) Neuron bezeichnet.
Propriozeptive Empfindungen entstehen innerhalb des Körpers selbst (Kap. 4).
Proprioceptive Reize können wahrgenommen werden (Lage- oder Kraftsinn, Kinesthesie) oder unbemerkt bleiben; sie stehen im Dienst der Koordination von Bewegung.
Unbewußte Proprioception ist ipsilateral organisiert und wird über das Kleinhirn vermittelt. Diese Verbindung besteht aus zwei Neuronen.
2. Verbindung zum Cortex cerebri
Die Vermittlung der somato-sensiblen Informationen aus dem Rumpfbereich erfolgt über die Spinalnerven, aus dem Kopfbereich über den N. trigeminus. Die Organisation beider Systeme entspricht sich und umfaßt jeweils zwei Hauptsysteme, die bewußte Information zum Cortex cerebri leiten:
1. Das Antero-Laterale System (ALS, oder Vorder-Seitenstrang-System), das die (primitive) protopathische Sensibilität (Schmerz, Temperatur, sowie grobe Druck- und Berührungsempfindungen), und
2. das "Lemniscus Medialis"-System (LMS), das die (höhere) epikritische Sensibilität (Berührungs- und Lokalisationssinn) vermittelt.
2.1. Das Antero-Laterale System
2.1.1 Das Antero-Laterale System des Rumpfes: der Tr. spino-thalamicus:
Der Tr. spino-thalamicus leitet die groben Druck-, Berührungs-, Schmerz-
und Temperaturempfindungen.
1. Neuron: im Spinalganglion.
2. Neuron (Ursprungszellen des Tr. spino-thalamicus): in LI, III, IV
(Ncl. proprius) und L V. Die Axone kreuzen durch die vordere Kommissur
zur Gegenseite und ziehen dort im Vorderseitenstrang zum Ncl. ventralis
posterolateralis des Thalamus (VPL).
3. Neuron: verläuft vom Thalamus zum somato-sensorischen Kortex (S I)
und zur sekundären somato-sensorischen Region (S II).
Legende
a, Organisation des Tr. spino-thalamicus lat.:
b, Organisation des Tr. trigemino-thalamicus:
1, Lemniscus medialis,
2, Tr. spino-thalamicus,
Entsprechend ihrer Lage im Rückenmark können ein Tr. spino-thalamicus
anterior, Tr. spino-thalamicus lateralis und ein Tr. spino-reticularis
unterschieden werden.
Tr. spino-thalamicus anterior: Die Rezeptoren vermitteln grobe
Druck- und Berührungsempfindungen. Die Axone des 2. Neurons (Tr. spino-thalamicus
anterior) verlaufen zunächst meist für 1 oder 2 Segmente auf derselben
Seite, bevor sie in der vorderen Kommissur kreuzen. Ein Teil der Fasern
verbleibt ungekreuzt.
Tr. spino-thalamicus lateralis und Tr. spino-reticularis: Die
Rezeptoren dieser Bahnen vermitteln vorwiegend Schmerz- und Temperaturreize.
An den Nociceptoren entstandene Impulse (Schmerzleitung) werden durch
zwei zentripetale Bahnen, die schnelleitenden Ad
-Fasern und die langsamen C-Fasern, zum Rückenmark geleitet (unterschiedliche
Endigungsorte). Die Axone kreuzen zum größten Teil (auf der Wurzeleintrittsebene)
durch die vordere Kommissur zur Gegenseite und ziehen dort im Vorderseitenstrang
aufwärts. Hier wird die Dualität der aufsteigenden Schmerzbahnen aufrecht
erhalten, indem beide Komponenten als Tr. spino-reticularis und Tr. spino-thalamicus
lat. getrennt verlaufen. Der erste Trakt unterscheidet sich von letzterem
dadurch, daß er in der Formatio reticularis unterbrochen wird (daher auch
als Tr. spino-reticulo-thalamicus bezeichnet). Diese Leitungsbahn wird
als phylogenetisch altes System betrachtet, das der Sensibilität für drohende
Gefahren der Vitalsphäre dient und daher als Tr. palaeo-spino-thalamicus
dem Tr. neo-spino-thalamicus gegenübergestellt wird. Auch ihre Endigung
im Thalamus erfolgt getrennt.
In den sensomotorischen Arealen der Hirnrinde findet die Bewußtwerdung
des Schmerzes statt. Verbindungen zum Hypothalamus führen zu vegetativen
Reaktionen. Im Limbischen System erfolgt die emotionale, affektive Verarbeitung
des Schmerzreizes, in der Hirnrinde der Persönlichkeitsbezug des Schmerzerlebnisses.
Schmerzmodulation: Das Schmerzerlebnis wird von den Bedingungen
der Rezeptorerregung in der Peripherie, von den Bahnen und den Synapsen
des Schmerzleitungssystems und schließlich von den Vorgängen im Erlebnisfeld
(Kortex) selbst beeinflußt. Ein Versuch, die Schmerzmodulation an der
Schaltstelle zwischen 1. und 2. Neuron zu beschreiben, ist mit der sog.
Gate-Control-Hypothese gemacht worden. Demnach wird die Weiterleitung
von Schmerzreizen auf der Rückenmarksebene nicht allein von der Aktivität
der Schmerzneurone sondern zusätzlich von der der schnelleitenden Axone
von Mechanorezeptoren, von hemmenden Interneuronen und absteigenden Axonen
moduliert (Abb. 10-2).
Legende
Abb. 10-2
Der Mechanismus der Schmerzüberleitung auf der Ebene des Rückenmarks. Die einfachste Version der Gate-Control-Hypothese besagt, daß das Projektionsneuron in Lamina V sowohl von Schmerz- als auch Tastfasern angesteuert wird. Beide beeinflussen über Kollaterale (gegensinnig) ein Interneuron, das durch präsynaptische Hemmung die Weiterleitung der Schmerzinformation (über das Projektionsneuron in L V) blockiert. Hierdurch würde der schmerzlindernde Effekt durch Berührungs- und Vibrationsreize (Erregung des Interneurons) und die Zunahme der Schmerzintensität bei langdauernden Schmerzreizen (Hemmung der Interneurone) erklärt. Eine zusätzliche Beeinflussung der Schmerzüberleitung erfolgt über serotoninerge Fasern auf der Ebene des inhibitorischen Interneurons, und über erregende und hemmende absteigende Fasern (hauptsächlich) auf der Ebene des Projektionsneurons.
Abb. 10-3
Das Schaltschema fasst einige neuere Befunde der spinalen Überleitung zusammen.
Abb. 10-4
Abk.: EK: Enkephalin-Neuron, NE: noradrenderges Neuron; 5-HT: serotoninerges Neuron, 1, Tr. spino-thalamicus lat., 2, Tr. spino-reticularis, 3, Formatio reticularis, 4, Ncl. raphe magnus, 5, Locus coeruleus, 6, periaquäduktales Grau,
2.1.2 Das Antero-Laterale System des Kopfes: der Tr. trigemino-thalamicus
Die Leitung der protopathischen Sensibilität (Schmerz, Temperatur, grobe Berührungsreize) aus dem Kopfbereich erfolgt den Tr. trigemino-thalamicus.
1. Neuron: Ganglion trigeminale. Die zentralen Fortsätze teilen sie sich wie im Rückenmark in auf- und absteigende Äste. Die absteigenden Fasern schließen sich zu einem Bündel zusammen, das bis in das Rückenmark hinabreicht und daher als spinale Trigeminuswurzel (Tr. spinalis n. V) bezeichnet wird. Die Lage dieses Bündels entspricht der der Zona terminalis im Rückenmark. Die Fasern der drei Hauptäste (CN V1-V3) sind topographisch gegliedert (Abb. 10-1, Abb. 10-5).
Tabelle 10-3:
Kerngruppen | Ursprungs- und Endkerne des N. trigeminus | Ganglien | Fasertyp | Schwerpunkt des Funktionsbereichs |
GSA | Ncl. tractus spinalis
- Pars oralis - Pars intermedius - Pars caudalis |
Ggl. trigeminale
[semilunare (Gasseri)] |
Ad , C | protopathische Sensibilität:
Berührungsempfindung aus dem Mund, Schmerzfasern aus den Zähnen Schmerz- und Temperaturempfindung aus dem Gesicht |
Ncl. principalis | Ab | epikritische Sensibilität | ||
Ncl. tractus mesencephali | Ab | Propriozeption |
Legende
Der Ncl. spinalis bildet die Fortsetzung des Hinterhorns (L I-VI) des Rückenmarks auf Hirnstammebene. Er wird in 3 Abschnitte geteilt, in denen funktionell unterschiedliche Fasern enden. Die Schmerzfasern enden vorwiegend im kaudalen Abschnitt des Ncl. spinalis des CN V. Hier und in der Substantia gelatinosa der anschließenden Spinalsegmente erfolgt die Umschaltung aus dem Gesichts-, Kiefer- und Zahnbereich. Diese Fasern steigen unterschiedlich weit mit dem Tr. spinalis n. trigemini ab. Aus dieser topographischen Beziehung ergeben sich Unterschiede zwischen den sensiblen Innervationsfeldern der drei Hauptäste des N.V (= peripheres Verteilungsmuster, Abb. rechts unten) und der zentralen (nukleären) Repräsentation. Die den unterschiedlichen Bezirken des Ncl. spinalis zugeordneten Projektionsfelder sind rechts abgebildet. Sie verlaufen zwiebelschalenartig um die Mundöffnung.
Abk.: 1, Ncl. tractus spinalis, 2, Ncl. principalis, 3, Ncl. tractus mesencephali, 4, Ganglion trigeminale, 5, Schmerzfasern, 6, Tr. spinalis n. trigemini, 7, Tr. trigemino-thalamicus lat., 8, Sulcus limitans, 9, Schmerzafferenz aus C2.
2. Neuron: Axone der Neurone in der Pars caudalis bilden den Tr. trigemino-thalamicus lat. (TTT), (entspricht dem Tr. spino-thalamicus lat.). Der TTT kreuzt in der kaudalen Medulla oblongata und endet entweder im Ncl. ventralis posteromedialis, VPM des Thalamus (gut lokalisierbarer, schnell leitender Schmerz) oder in den intralaminären Kernen des Thalamus (dumpf empfundener, brennender, schwer lokalisierbarer Schmerz). In Entsprechung zu den Vorgängen im Hinterhorn findet auch hier eine Modulation der Schmerzüberleitung statt (siehe dort).
3. Neuron: verläuft vom VPM zur Gesichtsregion im Gyrus postcentralis.
2.2 Das "Lemniscus-Medialis System"
2.2.1 Das "Lemniscus-Medialis System" des Rumpfes (Hinterstrangsystem):
Das Hinterstrangsystem wird von distalen Fortsätzen der Spinalganglienzellen gebildet, die direkt in die Hinterstränge eintreten. Dort teilen sie sich in einen auf- und einen absteigenden Ast. Die absteigenden Fasern verlaufen gebündelt. Sie enden (vorwiegend) an Schaltzellen der Hintersäule und gehören damit zum Eigenapparat des Rückenmarks. Die aufsteigenden Fasern bilden die eigentliche Hinterstrangleitung und enden an den Zellen der Hinterstrangkerne (Ncl. gracilis bzw. cuneatus) in der Medulla oblongata. Die Hinterstangkerne (2. Neuron) senden Axone über den Lemniscus med. zum kontralateralen Thalamus (Ncl. ventralis posterolateralis, VPL), der auf die somatosensiblen Regionen der Großhirnrinde projeziert.
Legende
a, Das Hinterstrangsystem.
b, Der Lemniscus trigeminalis.
Abk.: 1, Tr. gracilis, 2, Tr. cuneatus, 3, Ncl. gracilis, 4, Ncl. cuneatus, 5, Fibrae arcuatae int., 6, Lemniscus med., 7, Ncl. principalis n. V, 8, Ncl. mesencephalicus n. V, 9, Ncl. supratrigeminalis, 10, Lemniscus trigeminalis, 11, motorischer Trigeminuskern.
2.2.2 Das "Lemniscus Medialis System" des Kopfes (Lemniscus trigeminalis)
Fasern, die Druck- und Berührungsempfindung (epikritische Sensibilität) aus der Gesichtshaut vermitteln, gelangen zum sensiblen Hauptkern des N. trigeminus (Ncl. sensibilis principalis) in der Brücke. Dieser Kern entspricht, wie seine afferenten Fasern (die primär-afferenten Trigeminusaxone) den Hinterstrangkernen und -Bahnen. Seine efferenten Axone verlaufen (hauptsächlich) im kontralateralen Lemniscus trigemini, der sich dem Lemniscus medialis an dessen Innenseite anschließt. Der Lemniscus trigemini endet im medialen Teil des Ncl. ventralis posteromedialis, VPM. Das dritte Neuron zieht zum somato-sensorischen Kortex (Gesichtsregion).
Das Hinterstrangsystem leitet differenzierte (epikritische) Leistungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität der kontralateralen Seite. Jede einzelne dieser Modalitäten ist während des Verlaufs und in den Kernen (Hinterstrangkerne und VPL des Thalamus) topographisch getrennt. Eine Aktivierung in einem umschriebenen Hautbezirk (rezeptiven Feld) führt daher nicht nur zu einer eindeutigen (spezifischen) Weiterleitung der Sinnesqualität sondern auch ihrer Zuordnung am Endigungsort. Daraus folgt, daß die rezeptiven Felder der primär-afferenten Neurone in jedem Kern nach einem bestimmten Schema angeordnet sind und ein Abbild der somatotopischen Gliederung der Körperoberfläche darstellen . Diese Spezifität und Ordnung in den Leitungsbahnen bildet die Vorraussetzung für eine genaue Unterscheidung der Reize nach ihrer Lokalisation, Entstehungsart und Beschaffenheit. (Mit Hilfe des Hinterstrangsystems ist man in der Lage zu unterscheiden, wodurch eine Empfindung hervorgerufen ist.)
2.3 Vergleich der Organisation von ALS und LMS:
ALS und LMS sind parallel aufsteigende Systeme. Das ALS vermittelt protopathische, das LMS vermittelt epikritische Sensibilität. Protopathische Sensibilität ist nicht auf den Erkennungsprozeß gerichtet sondern auf den vital-bedrohlichen oder lustvermittelnden Charakter. Epikritische Sensibilität hingegen ermöglicht die räumlich-zeitliche und bewertende Unterscheidung der Empfindung. Obgleich beide etwas unterschiedlichen Funktionen dienen, gibt es ein gewisses Maß an Redundanz.
Das ALS unterscheidet sich gegenüber dem LMS in mehrerer Hinsicht (Tab. 10-3):
Tabelle 10-4: Unterschiede der Organisation von ALS und LMS auf Rückenmarksebene
Antero-Laterales System (ALS) | Lemniscus-Medialis System (LMS) |
Im ALS verlaufen auch ungekreuzt aufsteigende Fasern | Das LMS enthält keine ungekreuzten Fasern |
Die Kreuzung des ALS erfolgt im Rückenmark | Beim LMS erfolgt die Kreuzung in der Medulla oblongata |
Die Ursprungszellen des ALS liegen in der Substantia gelatinosa und sind daher postsynaptisch zu primär afferenten Neuronen | Die Axone des LMS sind proximale Fortsätze von primär afferenten Neuronen |
Die Fasern des ALS enden nicht nur im Thalamus, sondern auch im gesamten Hirnstamm | Die Axone des LMS enden im Thalamus |
Abb. 10-7: Vergleich der Organisation des Antero-Lateralen und des Lemniscus-Medialis-Systems (Kandel/Schwartz)

Legende
Das Antero-Laterale System, b, Das Hinterstrangsystem.
Die Hauptendigungen des 1., 2., und 3. Neurons sind durch Rasterung hervorgehoben.
Abk.: ALS: Antero-Laterales System, FOR: Formatio reticularis, HH: Hinterhorn, HK: Hinterstrangkerne, Hst: Hinterstrang, IL: intralaminäre Kerne des Thalamus, LM: Lemniscus medialis, LMS: Lemniscus Medialis System, LT: Lemniscus trigemini, ML: Mittellinie, S-I: primärer sensorischer Kortex, S-II: sekundärer sensorischer Kortex, T: tiefe Schichten des Tectum mesencephali, VPL: lateraler Teil des Ncl. ventralis posterior des seitlichen Thalamuskerns, V-Pr: Ncl. principalis des CN-V, V-Sp: Ncl. spinalis des CN-V, TST: Tr. spino-thalamicus, TTT: Tr. trigemino-thalamicus.
3. Vermittlung somatosensibler Informationen zum Cortex cerebelli
3.1 Rückenmark
Somatosensible Informationen aus dem Rückenmark werden über das Kleinhirnseitenstrangsystem zum Cortex cerebelli vermittelt. Es besteht aus zwei Fasersystemen, einem vorderen und einem hinteren Strang.
Im Gegensatz zu den aufsteigenden Verbindungen zum Gehirn sind die Bahnen zum Kleinhirn ipsilateral organisiert und bestehen nur aus zwei Neuronen. Alle primären Neurone befinden sich im Spinalganglion.
3.1.1 Das hintere Kleinhirnseitenstrangsystem (Tr. spino-cerebellaris posterior/dorsalis und Tr. cuneo-cerebellaris)
Tr. spino-cerebellaris posterior/dorsalis: Das 1. (primäre) Neuron befindet sich im Spinalganglion. Es vermittelt epikritische und propriozeptive Informationen aus den Muskeln oder (über Kollateralen auf- und absteigender Äste des Hinterstrangsystems) aus Hautrezeptoren der unteren Extremität und des unteren Rumpfabschnittes. Das 2. Neuron liegt im Nucleus dorsalis (zwischen den Ebenen T1 bis L2, siehe Tab. 7-1). Die Fasern des Tr. spino-cerebellaris post. sind mit etwa 20 µm Durchmesser die dicksten des NS. Sie verlaufen direkt unter der seitlichen Oberfläche des Rückenmarks auf der ipsilateralen Seite und gelangen über den unteren Kleinhirnstiel in das Kleinhirn.
Tr. cuneo-cerebellaris: Der Nucleus dorsalis ist nicht in der Gesamtlänge des Rückenmarkes zu finden, sondern ist auf die Segmente zwischen T1 und L2 begrenzt. Afferenzen aus Segmenten unterhalb von L2 müssen bis zu dieser Ebene im Fc. gracilis aufsteigen. Fasern, die über der Ebene von T1 in das Rückenmark gelangen, steigen entsprechend zunächst im Fc. cuneatus zum Ncl. cuneatus lateralis - dem Analog des Nucleus dorsalis auf. Diese Fasern bilden den Tr. cuneo-cerebellaris und verlaufen gemeinsam mit dem Tr. spinocerebellaris posterior durch den Pedunculus cerebelli inferior in das Kleinhirn. Beide Bahnen sind funktionell gleichwertig und beide dienen der unbewußten Tiefensensibilität. Die Fasern des Tr. spino-cerebellaris post. und Tr. cuneo-cerebellaris stellen einen Teil des Moosfasersystems des Kleinhirns dar.
3.1.2 Das vordere Kleinhirnseitenstrangsystem (Tr. spino-cerebellaris anterior):
Das 1. Neuron befindet sich im Spinalganglion. Es leitet fast ausschließlich Impulse der Golgi-Sehnenorgane über Ib Afferenzen. Die zentralen Fortsätze dieser Zellen enden an Neuronen der Lamina VII. Die sekundären Neurone kreuzen die Mittellinie und bilden dort den T. spinocerebellaris anterior. Er steigt durch Rückenmark, Medulla oblongata und Brücke auf, bevor er nach Rückkreuzung über den Pedunculus cerebelli superioris in das Kleinhirn einsteigt. Es handelt sich hierbei wegen der Rückkreuzung um ein ipsilateral organisiertes System. Dieser Trakt leitet (vorverarbeitete) Information über die spinale motorische Aktivität und Reflexe.
Die Funktion beider Kleinhirnseitenstränge ist unterschiedlich: Das hintere System vermittelt einfachen proprioceptiven Eingang aus den Muskel- und den Sehnenspindelrezeptoren; das vordere System vermittelt bereits vorverarbeitete Information über die motorische Aktivität und Reflexe der Spinalmotorik: Dieses System führt dem Kleinhirn Erregungen aus den Muskeln und Gelenken zu. Dank dieses Systems kann das Kleinhirn als Zentrum für die feinere Abstimmung von Bewegungen zu wirken.
Legende
a, Organisation des hinteren Kleinhirnseitenstrangsystems (Tr. spino-cerebellaris post.).
b, Topographische Organisation des hinteren (dünne Linie) und des vorderen Kleinhirnseitenstrangsystems. 1, unterer Kleinhirnstiel, 2, oberer Kleinhirnstiel, 3, Ncl. cuneatus lat. (accessorius), 4, Ncl. thoracicus, 5, Rückenmark, 6, Medulla oblongata, 8, Muskelspindel, 9, Mittelhirn, 10, Tr. spino-cerebellaris post.11, Tr. spino-cerebellaris ant.
3.2 N. trigeminus
Die Verbindungen des N. trigeminus mit dem Kleinhirn sind Teil des Tr. nucleo-cerebellaris. Sie entsprechen den Kleinhirn-Seitenstrangbahnen. Die Fasern des 2. Neurons kreuzen zum größten Teil als Fc. arcuatae int. und ziehen durch den unteren Kleinhirnstiel zum Wurm und den intermediären Abschnitten des Kleinhirns.
4. Weitere Verbindungen zum Kleinhirn
Neben den genannten Verbindungen, die direkt zum Kleinhirn verlaufen gibt es weitere, die indirekte Informationen aus dem Rückenmark an das Kleinhirn leiten. Hierzu gehören:
1. Tr. spino-olivo-cerebellaris (mit Unterbrechung in der unteren Olive)
2. Tr. spino-reticulo-cerebellaris ( mit Unterbrechung im N. reticularis lateralis) (siehe Kleinhirn).
5. Funktion>
Die spino-cerebellaren Fasern vermitteln (unbewußte) Tiefensensibilität (Proprioception: Dehnung, Muskellage, Sehnen- und Gelenkspannung) zum Kleinhirn. Beide Systeme sind topographisch organisiert. Damit werden dem Kleinhirn zwei somatotope Karten zur Verfügung gestellt: eine für den Lobus ant., die andere (umgedreht) für den Lobus post.
Das hintere Kleinhirnseitenstrangsystem vermittelt Information über einzelne Extremitätenmuskeln, während das vordere Kleinhirnseitenstrangsystem Informationen über den Status der gesamten Extremität vermittelt und damit komplexer Natur ist.
Beachten Sie: Die propriozeptive Information aus den Extremitäten wird über zwei Systeme geleitet und für zwei Ziele verwendet:
1. Das spino-cerebellare System dient der unbewußten Vermittlung von Reflexantworten.
2. Das Hinterstrangsystem (das die propriozeptive Information zum Cortex cerebri weiterleitet) dient der bewußten Wahrnehmung der Extremitätenlage.
Dieser Unterschied illustriert, daß nicht alle afferente (aufsteigende) Information tatsächlich auch an der Wahrnehmung beteiligt ist. Es ist deshalb vorteilhaft, afferente Verbindungen, die nicht die Bewußtseinsschwelle überschreiten, sondern der Bewegung dienen, von sensiblen Verbindungen, die der tatsächlichen Wahrnehmung dienen, zu unterscheiden
6. Angewandte Anatomie
6.1 Spinale (sensible) Syndrome
Die Hauptbahnen der Vorderseitenstränge kreuzen im Rückenmark; die Hinterstrangbahn kreuzt in der Medulla. Wegen der Trennung der beiden Stränge im Rückenmark bzw. Hirnstamm kann jeder von einer Schädigung betroffen sein, die den anderen Strang intakt läßt.
Da jede der sensiblen Hauptbahnen spezifische Sinnesqualitäten leitet, stellen sich bei einer Schädigung im Rahmen von Rückenmarksverletzungen charakteristische Ausfälle ein. So führt eine Unterbrechung des Vorderseitenstranges zum Verlust der Schmerz- und Temperaturwahrnehmung auf der Gegenseite; eine Zerstörung des Hinterstranges führt zum Verlust der epikritischen Sensibilität auf der Herdseite.
Abb. 10-9: Spinale Syndrome

a, Rechtseitige (R) Durchtrennung des Rückenmarks (schraffiert) - Halbseitensyndrom |
b, Läsion des dorsalen Teils des Rückenmarks (Hinterstränge) |
c, Läsion des ventralen Teils des Rückenmarks (Antero-Laterales System) |
Unterbrechung der Erregungsleitung in:
re. Pyramidenbahn ® Beinlähmung im re. Bein (Läsionsseite), re. Hinterstrang ® Verlust der epikritischen Sensibilität (re. Bein), re. Tr. spino.thalamicus ® Verlust der protopathischen Sensibilität (Schmerz, Temp.) im linken Bein (der Gegenseite). |
Unterbrechung der Erregungsleitung in den Hintersträngen beider Seiten ® Verlust der epikritischen Sensibilität in beiden Beinen. | Unterbrechung der Erregungsleitung in:
bd. Pyramidenbahnen ® Lähmung bd. Beine, bd. Tr. spino-thalamicus ® Verlust der protopathischen Sensibilität (Schmerz, Temp.) in beiden Beinen. Zusätzlich sind Fasern des autonomen NS betroffen. |
Legende
Abk.: P, Pyramidenbahn, H, Hinterstrang , TST, Tr. spino.thalamicus, R, rechte Seite, L: linke Seite. (Vgl. Abb. 6-3).
Vollständige Durchtrennung des Rückenmarks unterbricht alle auf- und absteigenden Fasern und löscht damit alle motorischen und sensiblen Funktionen unterhalb der Läsion.
Einseitige Rückenmarks-Läsion (Abb. 10-9a): Auf der Seite der Verletzung tritt Verlust der Vibrations- und Haltungswahrnehmung sowie der diskriminatorischen Wahrnehmung auf; auf der kontralateralen Seite findet sich ein Verlust der Schmerz- und Temperaturempfindung (ein oder zwei Dermatome unterhalb der Verletzungsstelle). Der Tastsinn ist nicht (kaum) betroffen, da er bilateral geleitet wird. Hinzu tritt als Zeichen der Unterbrechung der Pyramidenbahnfasern eine Lähmung unterhalb der Läsion auf der gleichen Seite.
Partielle Schädigungen: Verletzungen der ventralen Seite des Rückenmarks (Abb. 10-9b; z.B. A. spinalis anterior-Syndrom), führt zu beidseitigem Verlust von Schmerz- und Temperaturempfindung bei erhaltener Tast- und Tiefensensibilität. Diese Empfindungsstörung wird als dissoziierte Sensibilitätsstörung bezeichnet. (Hinzu treten Pyramidenbahnzeichen). Verletzungen der dorsalen Seite (Hinterstränge, Abb. 10-9c) bedingen den Verlust der diskriminierenden sensiblen Funktionen. (Propriozeptive Funktion und Lage-, Vibrationsempfindung sind kaum betroffen; die Reaktion auf Schmerzreize ist eher gesteigert). Verletzungen im Zentrum und in der Peripherie des Rückenmarks haben unterschiedliche Folgen wegen der topographischen Lagerung der langen Bahnen (Exzentrizität der langen Fasern). Bei zentral gelegenen Läsionen beginnen die sensiblen Ausfallserscheinungen im Bereich der oberen Extremitäten und steigen bei Progredienz ab; bei Kompressionsschädigung (von außen) beginnen diese Störungen in den Beinen und steigen auf.
6.2 Periphere Schädigung des N. trigeminus
6.3 Zentrale Schädigung des CN V
6.4 Orofaziales Schmerz-Dysfunktionssyndrom
7. Zusammenfassung
Somatosensibilität läßt sich in epikritische Sensibilität (Wahrnehmung
von feineren, ortsaufgelösten Tastreizen, sowie von Tiefenreizen) und
protopathische Sensibilität (Sensibilität für drohende Gefahren der
Vitalsphäre) unterteilen.
Die somato-sensiblen Hauptsysteme vermitteln ihre Infor mation zum
Cortex cerebri und zum Cortex cerebelli. Diese Information betrifft
Wahrnehmung (Perzeption), Weckreaktion ("Arousal") und motorische
Kontrolle.
Der Tr. spino- (reticulo-) thalamicus lat. ist die einzige Bahn,
die Schmerz und Temperatur leitet.
Die aufsteigenden (Ad - und C-) Schmerzfasern
verlaufen von der Peripherie bis zum Thalamus getrennt.
Die Aktivität des Schmerzreizes wird durch Modulation der Schmerzüberleitung
auf der Ebene von Rückenmark, Hirnstamm, Thalamus und Kortex beeinflußt.
Im Rückenmark werden schmerzspezifische motorische Reaktionen
(Fluchtreflex, Schonhaltung und Abwehrspannung oder Mechanismen zur
Vorbereitung von Abwehrreaktion) sowie vegetative Reaktionen
(Änderung von Blutdruck, Herzfrequenz, Atmung, Schweiß, Sekretion) ausgelöst,
die zur Beseitigung der schmerzauslösenden Störung führen sollen.
Die Oberflächensensibilität aus der Gesichtshaut, aus den oro-nasalen
Schleimhäuten, und aus den Zähnen wird über den N. trigeminus vermittelt.
Die zugehörigen Fasern treten in drei getrennte sensible Kerne ein:
Ncl. tractus mesencephali, Ncl. principalis, Ncl. Tr. spinalis. Der
kaudale Teil des Ncl. tractus spinalis ist von besonderer klinischer
Bedeutung, denn er erhält Schmerzafferenzen.
Die Bahnen, die zum Cortex cerebri aufsteigen sind alle dreigliedrig
und kontralateral organisiert.
Das 1. Neuron liegt im Spinalganglion oder im Ggl. trigeminale.
(Eine Ausnahme hiervon machen die Ganglienzellen des Ncl. mesencephalicus
n. V).
Das 2. Neuron liegt im Hinterhorn, den Hinterstrangkernen oder
in den sensiblen Trigeminuskernen und endet im Thalamus.
Das 3. Neuron verläuft zum somästhetischen Kortex und zu SII.
Die Fasern aus den sensiblen Trigeminuskernen (2. Neuron) steigen
über 3 verschiedene Bahnen auf:
1. Fasern aus dem Ncl. principalis kreuzen als Lemniscus trigeminalis
zur Gegenseite und schließen sich dem Lemniscus medialis an.
2. Fasern aus der Pars caudalis bilden den Tr. trigemino-thalamicus
(TTT), der dem Tr. spino-thalamicus entspricht. Der TTT steigt im kontralateralen
Hirnstamm auf und endet im Ncl. VPM des Thalamus.
3. Fasern aus dem Ncl. mesencephalicus verlaufen ipsi- und kontralateral
neben dem Lemniscus medialis.
Trigemino-reticuläre Fasern entsprechen denen des spino-reticulären
Systems.