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16 Geschmacksorgan

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Das Geschmacksorgan umfaßt die Summe der Geschmacksinneszellen. Es dient der Selektion des Speiseangebotes, indem es als chemischer "Wächter" schmackhafte Stoffe die Schwelle der Verdauungswege passieren läßt, andere jedoch zurückweist. Zahlreiche Reflexe unterstützen diese Aufgabe (Speichelreflex, Würgereflex, Brechreiz).

1. Lage des Geschmacksorgans

Geschmacksinneszellen sind in Gruppen, den Geschmacksknospen, angeordnet. Diese finden sich beim Erwachsenen hauptsächlich auf dem Zungenrücken, in geringerer Zahl auch auf der Zungenunterseite und dem weichen Gaumen. Bei Kindern ist das Verteilungsgebiet größer; hier finden sie sich auch in anderen Regionen der Mundhöhle, der Epiglottis und im Pharynx.

Im Bereich des Zungenrückens ist das Mundhöhlenepithel modifiziert: Hier finden sich feine Schleimhauterhebungen, die als Papillen bezeichnet werden. Am häufigsten sind die fadenförmigen Papillen (Papillae filiformes), die über den gesamten Zungenrücken verstreut sind und ausschließlich mechanisch wirksam sind (also nicht zur Geschmacksempfindung beitragen).

Neben den fadenförmigen Papillen gibt es beim Menschen drei weitere Typen, die sich in ihrer Verteilung auf dem Zungenrücken und ihrer Form unterscheiden: 1. Pilzförmige Papillen (Papillae fungiformes), 2. Blätterpapillen (Papillae foliatae) und schließlich 3. Wallpapillen (Papillae [circum-] vallatae). Sie dienen als Träger der Geschmacksorgane.

Abb. 16-1:
Legende

a, Verteilung (Topographie) der Geschmacksknospen auf dem Zungenrücken.

b, Schematische Darstellung der Papillentypen.

c, Struktur einer Geschmacksknospe.

Bestimme:
1, For. caecum,
2, Sulcus terminalis,
3, Papilla fungiformis,
4, Papilla foliata,
5, Papilla vallata,
7, Papilla fungiformis,
8, Papilla foliata,
9, Papilla vallata,
10, Ringwall,
11, Spüldrüse.

1, Rezeptorzelle,
2, Basalzelle,
3, Stü,tzzelle,
4, Rezeptoraxon,
5, Mikrovilli,
6, Geschmacksporus,
7, Zungenoberflä,che,
8, Basalmembran,
9, Epithelzellen.

1. Pilzförmige Papillen (Papillae fungiformes) treten besonders im vorderen Teil der Zunge auf. Sie tragen die Geschmacksknospen auf der Oberseite. Ihre Innervation erfolgt durch den Nervus facialis.

2. Blätterpapillen (Papillae foliatae) finden sich am hinteren Zungenrand. Neben den blattförmigen Erhebungen finden sich Einsenkungen in denen die Geschmacksknospen liegen. Papillendrüsen (seröse Spüldrüsen), spülen mit ihrem dünnflüssigen Sekret die Papillenfurchen frei, beseitigen so die Schmeckstoffe und verhindern die Ansammlung von Keimen. Von den Blätterpapillen werden vorwiegend saure und salzige Geschmackstoffe registriert. Sie werden ebenso wie die Wallpapillen vom Nervus glossopharyngeus versorgt.

3. Wallpapillen (Papillae [circum-] vallatae) sind wegen ihres großen Durchmessers mit bloßem Auge gut erkennbar und liegen aufgereiht vor dem V-förmigen Sulcus terminalis, der Nahtlinie zwischen den ursprünglich getrennten Anlagen des Zungenkörpers und Zungengrundes. Sie erscheinen wie ein plumper Stempel, der von einer tiefen Furche, dem Wallgraben, allseits umgeben ist. Wie bei den Blätterpapillen liegen die Geschmacksknospen im Epithel der Furche und wie dort münden seröse Spüldrüsen in den Wallgraben. Wegen ihrer hohen Zahl finden sich die meisten Geschmacksknospen in diesem Papillentyp, obgleich Wallpapillen recht selten auftreten.

2. Struktur der Geschmacksknospen

Die Rezeptororgane des Geschmacksinnes heißen Geschmacksknospen. Ihr Aufbau ist stets derselbe, unabhängig von ihrer Lage und der registrierten Sinnesqualität: es sind runde, faßförmige, epitheliale Strukturen, die die ganze Höhe des mehrschichtigen Plattenepithels einnehmen. Der oberste Teil einer Geschmacksknospe besitzt eine Aushöhlung, den Geschmacksporus. Jede Geschmacksknospe besteht aus je ca. 40 schlanken, längsgestellten Zellen, den Segmenten einer Mandarine vergleichbar, die sich aus folgenden Elementen zusammensetzen:

  • 1: Rezeptorzellen (Geschmackssinnenszellen, sekundäre Sinneszellen),
  • 2: Basalzellen (Ersatzzellen),
  • 3: Stützzellen (Rand- oder Satellitenzellen),
  • 4: Rezeptoraxon.

3. Transduktionsmechanismus

Wasserlösliche Reizstoffe, die auf die Zungenoberfläche gelangen, können durch den Geschmacksporus in den mit Flüssigkeit gefüllten Raum diffundieren und hier die Membran der Mikrovilli, die von den Geschmackssinnenszellen ausgehen, erreichen.

Obgleich man in der Lage ist, sehr vielfältige Geschmacksrichtungen zu "schmecken", gibt es doch nur 4 Grundempfindungen: süß, sauer, salzig und bitter. Die Qualität der Geschmacksempfindung beruht auf der Interaktion zwischen der stereochemischen Eigenschaft des Geschmackmoleküls und der Rezeptoroberfläche. Sie führt über die Öffnung von Kationenkanälen zur Änderung des Membranpotentials.

4. Geschmacksbahn

Die Geschmacksfasern vom vorderen und mittleren Drittel der Zunge verlaufen über die Rr. linguales der Chorda tympani, Fazialisstamm, Ganglion geniculi, Pars intermedia des N. facialis zur Medulla oblongata. Die Geschmacksfasern vom hinteren Drittel der Zunge verlaufen über die Rr. linguales des N. glossopharyngeus, die vom Zungengrund über die Rr. linguales des N. vagus. Alle Geschmacksfasern ziehen zu einem gemeinsamen Endkern, Ncl. tractus solitarii. Von hier ziehen die Geschmacksfasern (2. Neuron) bevorzugt zur Gegenseite und verlaufen mit dem Lemniscus medialis zum Thalamus. Das 3. Neuron zieht von dort zur somatosensorischen Zungenregion und zur Geschmacksregion des Gyrus postcentralis (Neocortex). Hier erfolgt die synthetische Dekodierung der (bewussten) Geschmackswahrnehmung.

Abb. 16-2: Geschmacksbahn
Abb. 16-3: Geschmacksbahn
Legende

Bestimme:
1, Rr. linguales der Chorda tympani (N. facialis),
2, Fazialisstamm,
3, Ganglion geniculi,
4, Rr. linguales des N. glossopharyngeus,
5, Rr. linguales des N. vagus,
6, Ncl. tractus solitarii,
7, Lemniscus med.,
8, Thalamus (VPM),
9, somatosensorische Zungen- und Geschmacksregion des Cx. postcentralis,
10, Geschmacksregion der Brücke,
11, Cx. entorhinalis.

Abb. 16-4: Geschmackskern
Legende

Bestimme:
1, Rr. linguales der Chorda tympani (N. facialis),
2, Fazialisstamm,
3, Ganglion geniculi,
4, Rr. linguales des N. glossopharyngeus,
5, Rr. linguales des N. vagus,
6, Ncl. tractus solitarii,
7, Lemniscus med.,
8, Thalamus (VPM),
9, somatosensorische Zungen- und Geschmacksregion des Cx. postcentralis,
10, Geschmacksregion der Brücke,
11, Cx. entorhinalis.

Wie alle sensiblen Leitungsbahnen besitzt auch die Geschmacksleitung neben der spezifischen eine unspezifische Komponente. Sie läuft unter der Bewußtseinsebene auf subkortikalem Niveau (durch die Verbindung über die Geschmacksregion der Brücke) ab, führt zu einer schnellen Analyse der Inhaltskomponenten (süß-sauer-salzig-bitter) und löst reflektorisches Verhalten aus (Saugreflex, Schluckreflex, Würgreflex). Dieser Verarbeitungsbereich steht zentral mit dem Cx. insulae in Verbindung. Zum anderen werden emotionale Komponenten ausgelöst. Bitter wird meist auch als unangenehm und widerlich, süß als angenehm und freundlich empfunden. Die affektbetonten Qualitäten der Geschmackswahrnehmung sowie die Gedächtnisprozesse, die den erlernten Geschmacksaversionen des Eßverhaltens zugrunde liegen, kommen durch Verbindungen zum Limbischen System zustande.

Abb. 16-5:

5. Angewandte Anatomie

Qualität und Intensität der Geschmackswahrnehmung sind nicht nur von der chemischen Konstitution und Konzentration abhängig. Sie können von vielen anderen Faktoren bestimmt werden (Größe der Schmeckfläche, sensible Komponenten (N. trigeminus), Alter, Temperatur, vorhergegangene Reize). Die Fähigkeit der Geschmacksknospen, Konzentrationsunterschiede wahrzunehmen, ist gering; denn die Konzentration einer Substanz muß um etwa 30% schwanken, bevor ein Unterschied bemerkt wird.

Störungen der Geschmacksempfindung werden als Hypogeusie (Herabsetzung) oder Ageusie (Verlust) bezeichnet. Geprüft werden die Geschmacksqualitäten durch Aufträufeln der Testsubstanzen auf die Zunge. Störungen der Geschmacksempfindung treten auf allen drei Ebenen auf. Einseitige Ausfälle finden sich z.B. bei Fazialisläsionen im Felsenbein. Wenn Patienten von "Geschmackstörungen" sprechen, meinen sie meist Geruchsstörungen. Manche Patienten klagen über Störungen der Geschmacksempfindung nach prothetischen Rehabilitationsmaßnahmen. Dies kann auf der Art und dem Umfang der Bedeckung der Schleimhaut sowie auf Korrosionsvorgängen beruhen.

6. Zusammenfassung

Das Geschmacksorgan umfaßt die Summe der Geschmacksknospen GK). Die GK befinden sich als Träger der sekundären Sinneszellen auf drei Papillentypen der Zunge. Die Hauptqualitäten der Geschmacksempfindung sind sind: süß, salzig, sauer und bitter. Die GK werden über die peripheren Fortsätze von drei Hirnnerven, die Rr. linguales der CN VII, IX, X, innerviert. Die Impulse werden an einen gemeinsamen Geschmackskern, Ncl. solitarius, geleitet.

Die Reizqualität einer bestimmten Nahrungssubstanz kann auf drei Ebenen analysiert werden:

  1. Die synthetische Dekodierung der Geschmackswahrnehmung ist im Neokortex repräsentiert und unterliegt der bewußten Wahrnehmung. Das 2. Neuron verläuft vom Ncl. solitarius zum ventrolateralen Kern des Thalamus (VPM); das 3. Neuron von dort zum I° gustatorischen Cortex.
  2. Die schnelle Analyse für reflektorisches Verhalten erfolgt unbewußt und wird über ein pontines Geschmackszentrum gesteuert.
  3. Die schnelle Analyse für emotionales Verhalten erfolgt unbewußt und wird über den Cx. entorhinales und den Mandelkern gesteuert.

Weiterführende WWW-Links:  Monell Chemical Senses Center